Die Linie als Instrument sozialwissenschaftlicher Bildinterpretation
Zusammenfassung
Wir diskutieren in diesem Aufsatz die Linie
hinsichtlich ihrer prinzipiellen Erkenntniskraft. Die Linie stellt sich
dabei als eine formale Struktur heraus, die für den Zugang zur Semantik
von zweidimensionalen Darstellungen entscheidend ist und von daher auch
für eine rekonstruktive Methodologie der Bildinterpretation eine
wichtige Funktion hat. Wie der Aufsatz zeigt, eröffnet sich dieser
Zugang über die Linie insbesondere dadurch, dass diese der Schlüssel zur
planimetrischen Komposition, d.h. zur Struktur des Bildes in der Fläche
ist. Ihre forschungspraktische Anwendung wird aber oft von einem
objektivistischen Denken verführt, das nach der einen richtigen
(wahren) Linie bzw. Linienstruktur sucht – einem Denken, dem dieser
Aufsatz vorbeugen möchte. Dagegen machen wir die Idee stark, Linien als
Mittel des Erkennens im Sinne eines sehenden Sehens (sensu
Imdahl) einzusetzen. Die Eigenlogik bildlicher Darstellungen lässt sich
vor diesem Hintergrund als bildspezifisches, implizites Wissen
formulieren, in welchem die Linie eine zentrale Rolle spielt. Mit dem
hier vorgetragen Versuch, die Linie als Element von implizitem,
alltäglichem Wissen zu explizieren, lässt sich ihre Anwendung bei der
Bildinterpretation oder -analyse jenseits kunstgeschichtlicher Diskurse
auch innerhalb einer sozialwissenschaftlichen Methodologie begründen,
sofern eine solche an impliziten Verständigungsstandards ansetzt . Diese
Überlegungen exemplifizieren wir am Ende an einem Werbebild – woraus
sich deren praktischer Nutzen erschließt.
Schüsselwörter: qualitative Methoden,
Bildinterpretation, Ikonik, dokumentarische Methode, Wissenssoziologie,
Epistemologie, psychologische Grundlagenforschung
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